April 2024 - Milica Čortanovački und Francisca Ribeiro
Begegnung mit den Schauspiel-Regieassistentinnen Milica Čortanovački und Francisca Ribeiro am 24. April 2024 in der Lobby Werkhaus
Bei unserer „Begegnung“ am 24. April konnten wir die Schauspiel-Regieassistentinnen Milica Čortanovački undFrancisca Ribeiro kennenlernen. Ronja Gerlach, seit der Spielzeit 2020/21 im Team Kunst & Vermittlung für den Bereich Schauspiel am NTM engagiert, führte durch den kurzweiligen Abend.
Milica Čortanovački wurde 1996 in Kassel geboren. Sie studierte Amerikanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und absolvierte Hospitanzen und Praktika am Münchner Residenztheater und den Münchner Kammerspielen. Sie absolvierte danach ein weiteres Studium an der University of Sussex in Brighton, England wo sie im Studiengang Drama, Theater and Performance abschloss.
Seit der Spielzeit 2022/23 ist Čortanovački feste Regieassistentin am Nationaltheater Mannheim. Francisca Ribeiro wurde 1994 geboren und wuchs in einer niedersächsischen Kleinstadt auf. Sie absolvierte ein Studium der Theater-/ Medienwissenschaft und Philosophie in Erlangen. Während des Studiums konnte sie Erfahrungen in den Bereichen der Regie, Dramaturgie, Theaterpädagogik und Festivalorganisation sammeln. Einige Jahre als Souffleuse am Staatstheater Stuttgart brachten ihr die Theaterwelt nah. Hier arbeitete sie auch erstmals mit Regisseur*innen eng zusammen und konnte in der professionellen Theaterwelt Fuß fassen. Seit der Spielzeit 2022/23 ist sie als Regieassistentin am Nationaltheater Mannheim tätig.
Zunächst stellte Ronja Gerlach die Frage in den Raum, was Regieassistent*innen eigentlich machen und welche Aufgaben sie haben. Aus dem Publikum kamen hierzu schon fundierte Vorschläge, aber die beiden Regieassistentinnen erläuterten Ihr Arbeitsgebiet nun ganz genau: Milica Čortanovački beschrieb das so: „Es gibt drei Gebiete in die sich unsere Aufgaben teilen. 1. Die Vorbereitung der Probenarbeit vor Probenbeginn, 2. die Koordination der Proben und 3. die Arbeit nach der Premiere, wie z.B. die Abendspielleitung. Das spannende dabei ist, dass wir alle drei Monate neue Chef*innen kennenlernen, da die Regisseur*innen als Gäste immer wieder wechseln.“
Dabei ist es immer wichtig, sowohl die Wünsche der Regisseur*innen zu kennen und für alle Probleme und Fragen Lösungen zu finden, gleichzeitig aber auch die Bedürfnisse der Schauspieler*innen zu berücksichtigen. Als regieassistierende Person ist man auch Bindeglied zwischen Regie und Ensemble und zuweilen auch dem Haus, da man eng mit den Dramaturg*innen zusammenarbeitet.
Francisca Ribeiro ergänzte: „Ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit ist das Führen des Regiebuchs, also der gesamten Dokumentation der Inszenierung. Während der Probenarbeit vermitteln wir zwischen Bühne, Technik, Ton, Beleuchtung und allen Gewerken, die an der Entstehung eines Stücks beteiligt sind. Am Ende fügt sich alles zusammen und es entsteht immer der Aha-Effekt. Außerdem leiten wir die Proben bei Wiederaufnahmen, wenn die Gast-Regisseur*innen nicht mehr zugegen sind.“
Milica Čortanovački freut sich auch über die Betreuung der Gäste, wenn Gastspiele am NTM auf dem Programm stehen. Aber auch, wenn das NTM auf Reisen geht, ist es die Aufgabe der Regieassistent*innen, für alle Mitreisende zu sorgen, alles zu organisieren und zu koordinieren. „Das ist schon ganz schön viel Druck, macht aber sehr viel Spaß“, so Čortanovački weiter.
Auf die Frage nach der größten Herausforderung weiß Francisca Ribeiro spontan eine Antwort: „Der Email-Verkehr! Täglich um 13 Uhr müssen wir den Tagesplan verschicken und da sind wir aber meistens mitten in den Proben. Das stresst dann schon, wenn es kurz nach 13 Uhr ist und alle nach der Mail fragen...“ Milica Čortanovački sieht die große Herausforderung in dem Anspruch, dass Regieassistent*innen eigentlich immer alles wissen müssen und auch immer für Alle da sein sollten. „Da kommen dann schon des öfteren 12-13 Stunden-Tage dabei heraus. Das ist zwar nicht immer der Fall, aber manchmal schon“, erzählt sie weiter.
Besonders freuen sich beide, dass sie am NTM nach zwei Jahren die Gelegenheit bekommen, ihr eigenes Stück als Regisseurin zu inszenieren und zu betreuen. Milica Čortanovački arbeitet gerade an der Theaterfassung des Romans „Orlando“ von Virginia Woolf. Sie findet große Erfüllung in der Aufarbeitung des Textes und der Geschichte, bei der ein junger Adliger unsterblich ist und sich im Lauf der Geschichte zur Frau entwickelt. „Man hat diesen Roman einmal als längsten Liebesbrief der Welt bezeichnet und es ist wunderbar diese Geschichte in der heutigen Zeit umzusetzen!“ Premiere ist am 16. Juli 2024.
Francisca Ribeiro hat sich einem zeitgenössischen Stück gewidmet: „In Stanniolpapier“ von Björn SC Deigner. In diesem Stück, das bei seiner Premiere in Berlin für einen Eklat gesorgt hat, wird das Leben einer Prostituierten erzählt. In realen Interviewelementen, vermischt mit fiktiven Szenen entwickelt sich ein interessanter Spannungsbogen in der Erzählung einer außergewöhnlichen Frau, so Ribeiro. Premiere ist am 14. Juni 2024.
Die beiden Regieassistent*innen haben bei ihrer Arbeit sehr unterschiedliche Vorgehensweisen: „Bei mir ist Rock´n´Roll“, erzählt Milica Čortanovački lachend. „Ich arbeite viel mit der Performance, dem Körper. Erst schmeiß ich mich rein und sehe dann, was passiert... Bei der Regiearbeit fühle ich mich immer als Mutti - ich trage Verantwortung für Alle und Alles!“
Francisca Ribeiro hingegen liebt die Kargheit, am liebsten eine Bühne ohne Requisiten. Sie arbeitet nahe an der Figur und viel in Bildern. Während Čortanovački sehr gerne einmal auch für den Film arbeiten würde, ist das gar keine Option für Ribeiro, der hierfür der Blick fehlt. Sie vermisse die Präzision und die Arbeitsweise, die sie am Theater so sehr schätzt.
Auch eine Arbeit als Regisseurin oder Regieassistentin in der Oper kommt für beide im Moment nicht in Frage. In der Oper müsse alles in Einklang mit der Musik sein, da ist große Präzision gefragt - „einfach mal ausprobieren, geht da nicht“, so Milica Čortanovački.
Bei den Fragen an das Publikum, was sich denn die erfahrenen Mitglieder der Freunde und Förderer an Stücken wünschen würden, kamen zwei deutliche Ansagen aus dem Auditorium: Man wünsche sich einmal auch Komödien, bei denen man einfach einmal abschalten und sich freuen könne. Und auch die Abkehr von Werken und Inszenierungen, bei denen ständig das Weltgeschehen, Gesellschaftskritik und aktuelle Missstände angeprangert würden, die man täglich im Fernsehen und in der Presse lesen müsse, wurde gewünscht. Das Publikum, so eine Stimme von den Zuschauern, werde oft ratlos zurückgelassen. Milica Čortanovački, Francisca Ribeiro und Ronja Gerlach bedankten sich für die Antworten und ermunterten die Teilnehmenden auch Feedback zu ihren Produktionen zu geben – gerne über die Kontakte aus dem Team Kunst und Vermittlung. Das Publikum freute sich über einen Abend mit intensiven Einblicken in die Arbeit der Regieassistentinnen und bedankte sich bei unseren drei Gästen mit herzlichem Applaus.
Fotos und Text: Thomas Henne