Freunde und Förderer des Nationaltheaters Mannheim

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Philipp Löhle, 2011/2012

Philipp Löhle Hausautor am Nationaltheater 2011/2012
Philipp Löhle hat uns den Text, den er beim Autorentreff mit Ingoh Brux am 21.02.2011 vorgetragen hat, zur Verfügung gestellt.

Wir danken ihm hierfür!


Zu verkaufen: Kleines Land in Osteuropa
Philipp Löhle

In einem kleinen Land in Osteuropa. An der Bar:

Weißt du. Es heißt immer, dieses Land sei arm dran. Und die Menschen in diesem Land noch ärmer. Weil dieses Land in dem großen Zimmer Welt irgendwo ganz hinten untergebracht ist. Da, wo sonst nur noch die alten Klamotten liegen, die keiner mehr anziehen will. Da liegt auch dieses Land. Und so gesehen, sind wir, die Menschen in diesem unbeachteten Land, noch ärmer dran als das Land selbst. Weil wir unbeachtet im Unbeachteten sind.

Das will ich auch gar nicht leugnen. Aber ich sage: Vielleicht sind wir nicht direkt arm dran, sondern nur anders dran. Gut, das hilft dir nicht, wenn du nichts zu fressen hast, oder zu rauchen, oder schlecht bezahlt wirst. Da hilft das nichts. Ist halt so: Mitleid macht nicht satt. War schon immer so. Deshalb war Jesus auch so dünn, als er gestorben ist. Was ich sagen will: Ja, wir sind - auf eine gewisse Weise! - arm dran. Auf eine gewisse Weise! Warum nur auf eine gewisse Weise? Arm dran ist arm dran. Denkste. Wir sind nur auf eine gewisse Weise arm dran, weil wir gar nicht arm dran sein müssten. Und das ist - leider - noch schlimmer als arm dran.

Stell dir vor, du hast Hunger. Das ist schlecht. Es tut weh, wenn der Magen anfängt sich selber zu verdauen. Aber jetzt stell dir vor, du hast Hunger, und du weißt, du müsstest keinen Hunger haben. Da tut es plötzlich nicht mehr so weh, wie sich der Magen selber verdaut. Da tut es nur noch im Kopf weh, dass du in dieser verdammten Zwickmühle steckst, dass du Hunger hast, obwohl du ihn nicht haben müsstest. Und dieses Kopfweh ist um ein Vielfaches schlimmer als der Schmerz, wenn der Magen anfängt, sich selber zu verdauen. Verstehste?

Also, ungern, aber man kann es so sehen, gebe ich zu, dass wir hier in diesem unbeachteten Land - auf eine gewisse Weise! - arm dran sind. Und: es nicht sein müssten. Aber wieso müssten wir es nicht sein? Weil es einen ganz einfachen Plan aus dieser Misere heraus gibt. So. Und wer hat den Plan?

Genau. Lucky me. Also. Ganz einfach. Der Plan: Verkaufen. Und zwar alles. Das ganze Land. Wie es hier steht. Mit allem. Hund. Katze. Maus. Alles verkaufen.

Für wie viel? Machen wir es günstig. Schließlich gibt's hier Bodenschätze und Fabriken und wir verkaufen nicht irgendwas, sondern ein ganzes Land, also sagen wir: Jeder Einwohner bekommt eine Million. Euro. Moment. Bevor du sagst, das ist zu teuer. Für eine Million Euro bekommst du von jedem, der hier wohnt, alles, was er hat. Sein Haus, seinen Garten, seinen Hund, wenn es sein muss, sogar die Oma. Also. Jetzt habe ich eine Million von dir bekommen und habe gar nichts. Also kaufe ich dir, dem alles gehört, ein Haus ab. Sagen wir für 500 Tausend. Jeder Einwohner kauft dir in seinem Land, das jetzt dir gehört, ein Haus ab. Und du hast nur noch eine halbe Million an jeden Einwohner gezahlt. So.

Bleibt noch eine halbe Million. Muss ich natürlich Steuern zahlen. An dich. Dir gehört das Land, also bist du der Staat, also muss ich an dich Steuern zahlen. Sagen wir 50 Prozent. Also gibt dir jeder Einwohner, dem du eine Million gegeben hast und der dir für eine halbe Million ein Haus abgekauft hat, von der verbleibenden halben Million die Hälfte als Steuern. Bleiben mir nach Ausverkauf des Landes 250 Tausend Euro. So. Was mache ich mit den 250 Tausend Euro? Na ich lebe davon, ohne je wieder auch nur noch einen Finger krumm zu machen. Aber vor allem bringe ich das Geld, damit es nicht zu Hause rumliegt, auf die Bank. Und wem gehört die Bank? Dem, dem das Land gehört. Also hast du auch die letzten 250 Tausend Euro von der Million, die du an mich bezahlt hast, wieder drin und kannst mein Geld in deiner Bank an andere Leute als Kredit vergeben.

So einfach ist das. Du kommst umsonst zu einem ganzen Staat und ich zu einem sorgenfreien Leben. Na ja. Stattdessen sind wir jetzt eben arm dran, ohne dass wir es sein müssten, und ich habe die ganze Zeit Kopfweh, weil ich die Lösung habe und weiß, dass wir gar nicht so arm dran sein müssten.