Freunde und Förderer des Nationaltheaters Mannheim

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Thomas Köck, 2015/2016

Thomas Köck, Hausautor Spielzeit 2015/16, ©Foto: Andreas Neumann
Thomas Köck hat zum Abschluss seiner Hausautorenzeit am Nationaltheater einen Text für die Freunde und Förderer des Nationaltheaters geschrieben

– wie er zusammenfasst: „ein großes, ganz spezielles Resümee als Dank für den wunderbaren Aufenthalt ... das ist eine großartige Sache, die HausautorInnenschaft, die es unbedingt zu erhalten gilt.“

Wir sagen DANKE!


11.07.2016
statisten

während der gesamten spielzeit ist mir rund ums theater immer ein alter mann aufgefallen.

er saß regelmäßig seelenruhig in einem aufklappbaren campingstuhl in der mozartstraße und beäugte das theater. eine zeit lang dachte ich sogar, das ist wahrscheinlich ein vergessener hausautor.

im winter saß er tatsächlich in eine decke eingehüllt, mit einer thermosflasche voll mit tee oder kaffee wahrscheinlich. Vielleicht auch rum. aber er sah nicht wirklich verwahrlost aus. das war das interessante. sein sitzen wirkte nicht verwirrt und psychotisch, es wirkte ganz natürlich und selbstverständlich. so wie andere leute mit dinkelbrot nach hause gehen und dabei in ein handy hineinbrüllen, dass sie eh gleich zu hause seien und man dann in ruhe alles sortieren müsse, so natürlich wirkte es, dass da ein typ in einem campingsessel in eine decke eingewickelt vorm theater saß und dieses ganz genau im blick behielt.

natürlich hat er mich auch irgendwann bemerkt und gesehen, zuerst hat er mich nur skeptisch und aus der distanz studiert, später, als ich dann gezielt öfter und mit einem lauter ausgesprochenen gruß an ihm vorüberspaziert bin, hat er meinen gruß dann auch erwidert. zuerst eher erschrocken, als ich einmal so tat, als würde ich ihn nicht beachten, weil ich auf meinem handy herumwischte, nur um ihn dann umso deutlicher und absichtsvoller aus der deckung heraus anzustarren und laut und freundlich zu grüssen. später normalisierten sich unsere begrüssungen. Einmal wollte ich ihn ansprechen, ihn fragen, wer er sei, was er hier mache, aber dann dachte ich auf dem weg zu ihm, was soll er mir groß sagen? was sagt einem ein junger alleinerziehender programmierer auf dem fahrrad auf dem weg zurück vom markt, auf die frage, wer er sei, was er hier mache und warum er das denn überhaupt mache? was sagt eine schauspielerin auf dem weg zur probe, die über eine rote ampel läuft, wenn man sie mitten im lauf stoppt und bittet kurz zu sagen, wer sie sei, warum sie das mache und was sie hier überhaupt mache, jetzt gerade?

was sollte mir denn der alte typ sagen? „ich sitze hier und beobachte das theater?“

ich ging hinaus, trotzdem fest entschlossen selbst die allergrößte banalität aus ihm herauszukitzeln, nur um endlich zu wissen, wo er wohnt, was er denkt, was er vorhat und dachte mir trotzdem immer wieder, mehr ist da wohl auch nicht, mit einer luftpumpe bewaffnet beäugt er spielzeit für spielzeit das werkhaus, liest zeitung, studiert die straße, grüsst die vorüberspazierenden, schleicht erst spät abends von seinem platz und sitzt morgens, wenn die ersten jogger vorüberhecheln schon wieder da, wie selbstverständlich, die augen misstrauisch zwischen dem weißen bart und der baskenmütze eingegraben, die füsse auf einem schemel, den arsch auf einem campingsessel.

ich bog also ums eck, noch unsicher, ob ich unser respektvolles verhältnis aufs spiel setzen sollte, und da saß er, diesmal mit blick auf den parkplatz vorm nationaltheater.

er hatte mich noch nicht bemerkt, also blieb ich stehen und überlegte mir die richtige strategie. einfach auf ihn zuzugehen war nur dann zielführend, wenn er nicht das gefühl hatte, dass ich ihn verhören wollen würde, also, um ihn zu begreifen, und zu verstehen, mit wem ich es zu tun hatte, versuchte ich mir vorzustellen, was er da im sitzen immer sah.

er beobachtet, wie das publikum auf den parkplatz fährt, wartet bis alle im theater sitzen, sieht auf den parkplatz, wo die von ihren besitzern zurückgelassenen autos warten, studiert die beleuchtung im haus, versucht sich vorzustellen, was im inneren dieses riesigen komplexes jetzt gerade passiert, welche mutter gerade ihre kinder aus rache abschlachtet, warum eine alte schauspielerin es unter umständen gerade satt hat, diese worte zu sprechen, die ihr einmal so wichtig waren, warum ein kollege ihr versucht gut zuzureden, den sie immer schon nervtötend fand, welcher inspizient gerade von einem schlechtgelaunten alten schauspielstar angefahren wird, welcher chor gerade den heldentod beklagt, welcher schauspieler gerade enttäuscht und wütend von der bühne geht, weil sein monolog heute nach hinten losging, welche arie gerade mit der allerhöchsten anstrengung vergeigt wird, welcher posaunist gerade heimlich furzt, welchem kritiker gerade in reihe sechs mitte ein wunderbarer titel für einen herrlichen verriss eingefallen ist, mitten in einer szene, in der eine junge schauspielerin, die neu im ensemble ist, lange und oft im kreis herumläuft und einen komplizierten, abstrakten text über das schöne spricht, den sie nicht besonders gut findet. welcher dramaturg gerade eine sms bekommt, von einer wichtigen regisseurin, die für ein großes projekt zusagt, mit den worten:
„ja, klappt. morgen mehr. müde. kleist schon wieder.“

dieser alte typ mit der luftpumpe beobachtet dieses riesige haus andauernd von aussen, und desto genauer er das mauerwerk und die fenster überfliegt, desto besser sieht er, welche bühnenbilder gerade nach hinten gerollt werden, wer die nebelmaschine gerade anwirft, wie gerade jemand in einer langen ruhigen rede die zerstörung einer syrischen stadt beschreibt, wie zwei nackte schauspieler sich jeden abend auf ein neues ineinander verlieben und jeden abend ein klein wenig mehr daran glauben, dass diese liebe funktionieren würde und jeden abend wieder zehn abonnenten das haus verlassen und über den parkplatz direkt zu ihren autos eilen, den kopf schüttelnd, schwören, ihr abo abzugeben, immer die gleichen zehn abonnenten, jede spielzeit wieder.

ich hatte erst viel zu spät registriert, dass er mich schon eine lange zeit über beobachtet hatte, wie ich da an der ecke stand, mittlerweile das publikum studierte, das aus dem haus herauströpfelte, weil mittlerweile die sonne aufgegangen war und schon die ersten techniker wieder neue bühnenbilder ins haus tragen, weil ich den ganzen abend auf dieses haus hingestarrt hatte, die ganze letzte woche, das letzte jahr, zweieinhalb jahrzehnte lang am stück an einer stelle saß, jetzt endlich mich einmal umsetzen muss, während eine andere arie vergeigt wird, diesmal eine wirklich gigantische, einfach so, dahinplätschert, weg, verspielt und vorbei und dann grüsst mich so ein junger typ, der vorbeigeht, schaut von seinem handy auf, reißt mich mit einem lauten und auch noch freundlichen „guten tag“ aus meiner betrachtung heraus, stiert mich an, mit einem mobiltelefon in der hosentasche, als hätte er irgendetwas mit der welt zu tun, durch die er sich bewegt, als wärs normal, mit dem handy in der hand durch eine stadt zu laufen, die er überhaupt nicht kennt und geht zum glück nach einem dahingemurmelten „hallo“ meinerseits weiter, während ich mich wieder umdrehe und die fassade studiere, ein bühnenbild sehe, das beim transport vom wind fast umgeblasen wird, eine schauspielerin, die jetzt tief luft holt, hinaus auf die bühne schießt und am monolog ihres lebens auf allerhöchstem niveau scheitert und trotzdem hoch zufrieden ist, höre, wie eine windmaschine jetzt hinter der bühne herumgefahren werden muss, weil nun endlich platz für einen ventilator geschaffen werden muss.

c thomas köck, juli 2016


Thomas Köck : der Hausautor der Spielzeit 2015/16 im Porträt
Das Gespräch im Wortlaut mit Sandra Dörr, ©MM 26.06.2015

"Wenn du in einem Zweitausend-Seelen-Dorf aufwächst, hast du zwei Möglichkeiten", sagt Thomas Köck. "Alkoholiker werden oder anfangen, Gitarre zu spielen." Der neue Hausautor des Mannheimer Nationaltheaters (2015/16) hat sich für Letzteres entschieden - und so war es auch die Musik, die den 29-jährigen Österreicher zu seiner Theaterarbeit brachte. In seinen Texten befasst er sich am liebsten mit großen Themen.

Mit dem Zug ist Thomas Köck zur Premiere seines Stückes "Jenseits von Fukuyama" nach Mannheim gekommen. Trotz Bahnstreik, weil ihn seine Mitfahrgelegenheit versetzt hat. Entspannt sitzt der mehrfach ausgezeichnete Autor im Foyer des Werkhauses, dunkle Blazerjacke und weite Jeans, die Haare leicht zerzaust. Die Bahnfahrt war so ereignislos, dass er unterwegs die ganze Zeit getwittert hat, berichtet Thomas Köck, der auch einen Fotoblog betreibt und für diesen alles festhält, was ihm auf seinen Reisen durch die BRD begegnet.

Aus dem kleinen Wolfern in Oberösterreich hat es ihn über Wien nach Berlin verschlagen, zwischendurch war er in England, lebte in Hamburg und einige Monate in Leipzig. Die Abenteuerlust, sagt er, treibe ihn wohl dazu, immer neue Städte und Menschen kennen lernen zu wollen. Deshalb freue er sich auf seine Zeit in Mannheim, wo ihm das Nationaltheater "dankenswerterweise auch Logis stellt". Er wolle die Stadt entdecken, "gute Leute" treffen. "Sprachmelodisch fühle ich mich schon mal wohl", sagt er lachend und fällt ins Wienerisch - nicht minder singend als der Mannheimer Zungenschlag.

Je nach Stimmung und Phase, in der sich ein Stück gerade befindet, suche er fürs Schreiben unterschiedliche Orte auf: Ruhe am Anfang, Trubel, sobald er sicherer in der Handlung sei, Rückzug, wenn er recherchieren muss - oder gerade dann Gesellschaft, weil er Antworten auf Fragen suche, die viele Menschen beschäftigen.

Es sind die großen Themen, die Thomas Köck umtreiben, viele begleiten ihn schon sein ganzes Leben lang und greifen ineinander. "Ich arbeite wahnsinnig viel über theoretischen Input, lese viel, lasse mich von der Wucht der Sprache mitreißen", sagt der 29-Jährige, der unter anderem Philosophie und Literaturwissenschaften studiert hat, bevor er in Berlin seinen Master in Szenischem Schreiben angegangen ist. Doch egal, worum es geht, immer stehe für ihn eine Frage im Mittelpunkt: "Was habe ich damit zu tun?", erklärt Thomas Köck, wobei die Stücke nicht biografisch gefärbt seien. Vielmehr gehe es um das Kleine im großen Ganzen. Die Auswirkungen.

"Ganz natürlich" sei er zum Schreiben gekommen, sagt Thomas Köck, über die Musik, seit er 14 war, und den Austausch mit anderen, über Tanz und Performance. "Da haben sich Pop und Theater vermischt, das hat mich fasziniert", erinnert er sich. Am "theatercombinat Wien", wo er drei Jahre bei Claudia Bosse mitarbeitete, lernte er dann ganz praktisch das Handwerkszeug dazu - von der Bühnentechnik über Regie und Schauspiel - und entließ seine ersten Texte in die Bühnenwelt, um zu sehen, was daraus entstehen kann.

Heute, sagt Thomas Köck, schreibe er Stücke gerne so, "dass Regisseure an Bildern verzweifeln" und in einer Sprache, "die Schauspieler wütend macht". Er wolle "zum Arbeiten einladen", sagt der 29-Jährige. "Diese Herausforderung würde ich als Regisseur auch wollen", erklärt er mit einem spitzbübischen Lächeln und der Neugier im Nacken, wozu das wohl führen mag.

Und obschon er noch gar nicht dran ist, in die Fußstapfen des ersten Mannheimer Hausautoren Friedrich Schiller zu stapfen (noch ist Anne Lepper Hausautorin des Nationaltheaters), hat Thomas Köck schon über das Kennenlerngespräch hinaus erste Schritte in sein neues Haus gemacht und sich mit den Schauspielern zusammengesetzt. "Wir hatten gleich eine Idee für ein Stück", merkt er an - will aber noch nicht verraten, wie diese aussieht. "Sonst ist man so festgelegt", sagt der 29-Jährige schmunzelnd.“

Autor Thomas Köck
1986 im oberösterreichischen Steyr
zu Schulzeiten erste kreative Schritte als Komponist und Gitarrist
Studium in Wien und Berlin Philosophie und Literaturwissenschaften
ab 2012 Studium des Szenischen Schreibens an der Universität der Künste in Berlin
Osnabrücker Stückepreis: "Jenseits von Fukuyama"
Stückepreis des Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreises: "Isabelle Huppert (geopfert wird immer)"
Spielzeit 2015/16: Hausautor des Mannheimer Nationaltheater