November 2022 - Tilmann Pröllochs
BEGEGNUNG MIT TILMANN PRÖLLOCHS AM DIENSTAG, 15. NOVEMBER 2022, 20.00 UHR IN DER LOBBY WERKHAUS
Die „Begegnung“ mit dem neuen geschäftsführenden Intendanten des Nationaltheaters Mannheim war eine Premiere: unsere erste „Begegnung“ seit Beginn der Sanierungsphase und in einer „unserer“ Interimspielstätten, der Lobby Werkhaus. Dem Zuspruch tat dies keinen Abbruch – es waren viele interessierte Freunde und Freundinnen gekommen, um mehr über Tilmann Pröllochs zu erfahren.
Der kurze Abriss seines Lebenslaufs machte sofort deutlich: Wir haben es mit einem Theatermenschen zu tun, der etwas von Verwaltung versteht. Ob in Heidenheim, Tübingen oder zuletzt in Oldenburg: Immer waren die Theater dieser Städte sein Handlungsraum, und Tilmann Pröllochs machte sehr plausibel, dass Verwaltungswirtschaft und Theatermanagement eine ausgesprochen glückliche Konstellation sein kann. Die Erfahrungen, die Tilmann Pröllochs als für das Theater glühender Diplom-Verwaltungswirt in seiner langjährigen Karriere sammeln konnte, kommen Mannheim und dem NTM zugute – insbesondere in Sachen Sanierung. An seiner letzter Wirkungsstätte, Oldenburg, hat er bereits eine Sanierungsphase (einschließlich Schließzeit) organisiert, und ist damit gut ausgestattet mit einem Wissen, das er in den kommenden Jahren für das NTM nutzen kann.
Sein Selbstverständnis eines geschäftsführenden Intendanten ist das eines Vermittlers: zwischen der Intendantin/den Intendanten, zwischen diesen und den Schauspielerinnen und Schauspielern, zwischen der Stadt und dem NTM. In allen Konstellationen ist doppelter Sachverstand gefragt. Diesen hat sich Tilmann Pröllochs übrigens hinsichtlich des Theaters auch als „Schauspieler“ angeeignet – als „Wilhelm Tell“ und als Mitglied eines Laientheaters. Ein weiteres Schlüsselerlebnis war eine dramaturgische Inszenierung von „Effi Briest“, die ihn fasziniert und für das Theater begeistert hat.
Jetzt ist er in Mannheim: Er wurde angerufen, er hat sich beworben, es wurde entschieden, er wurde zum geschäftsführenden Intendanten berufen – das alles war ein extrem kurzes Verfahren. Pröllochs findet sich wieder in einer Stadt, die ihm aufgrund ihres guten Rufs in der Theaterszene bereits bekannt war und die er häufiger schon besucht hatte, insbesondere von Tübingen aus. Er ist gut hier angekommen, hat sich den Sommer über diese „offene, bunte“ Stadt erradelt und fühlt sich willkommen geheißen.
Mannheim ist eine Kulturstadt – ohne Frage. Bei dieser Gelegenheit wurde die Mannheimer Kunst- und Kulturszene angesprochen. Deren Gesamtbild ist geprägt von der sog. freien Szene einerseits, den „großen Häusern“ andererseits. Diese Konstellation muss nicht notwendigerweise von Neid und Konkurrenz geprägt sein. Vielmehr sollte Kooperation die Leitidee sein, so die Vorstellung des Intendanten. Wie könnte dieses Ziel erreicht werden? Pröllochs hat gute Erfahrungen gemacht mit einer „Runden Tisch Kultur“, die in Tübingen Gutes bewirkt hat. Zwar hat die Kulturszene jeder Stadt ihr eigenes Profil – einen Versuch aber wäre es allemal wert, diese Idee auf die Mannheimer Szene zu übertragen.
Wie steht Tilmann Pröllochs zum Mannheimer Intendantenmodell, nach dem das NTM geleitet wird? Es ist aus seiner Sicht eine ausgesprochen vernünftige und gut funktionierende Konstruktion – seine Fähigkeit zu vermitteln, dann aber auch, als Geschäftsführer, zu entscheiden, kommt hier auf eine Weise zum Tragen, die der Sache sehr zuträglich ist.
Die Sanierung – das allgegenwärtige Thema – konnte natürlich bei dieser Begegnung nicht ausgelassen werden. Die Begleitung der Sanierungsphase ist für ihn eine reizvolle Aufgabe, mit neuen Chancen und Erfahrungen. Lohnt die Sanierung, brauchen wir überhaupt noch ein Theater in dieser Größe, kann sich Mannheim dieses Theater und die Sanierung überhaupt leisten? Alle, die mit dem Theater auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu tun haben, werden mit diesen Fragen konfrontiert. Der geschäftsführende Intendant ist hier ganz klar positioniert und wartet mit guten Argumenten auf: Sein Plädoyer für die große Bühne, die wir auch in Zukunft brauchen, wenn wir große Oper spielen wollen (und das wollen wir natürlich) war glühend und sehr überzeugend: Der „Parsifal“ braucht ein großes Haus mit 1200 Plätzen.
In diesem Zusammenhang wurde natürlich auch darüber gesprochen: Wie erreichen wir Menschen zwischen zwanzig und vierzig? Warum kommen sie nicht? Hier hat Tilmann Pröllochs eine sehr plausible Antwort: In bestimmten Lebensphasen ist für Theater kein Platz. Familien mit Kindern müssen sich so vielen Anforderungen stellen, dass ein Theaterbesuch oft außerhalb des Möglichen ist. Aber: Diese Generation ist ja nicht verloren, sie kommt (wieder), wenn die berufliche und familiäre Situation sich entspannt hat. Vor dem Hintergrund der Frage, ob eine Stadt sich überhaupt ein großes Theater und eine teure Sanierung leisten kann, ist dies ein einleuchtendes Argument. Außerdem: Das Theater hat eine gesellschaftliche Funktion als dritter Ort, als ein Ort, der nicht das Zuhause ist und auch nicht der Arbeitsplatz und der im Alltag eine so wichtige Funktion hat. Die Neukonzeption von Foyer und Pavillon im NTM wird dieser Funktion gerecht: Der Pavillon wird Treffpunkt, er lädt zum sozialen Miteinander ein – nicht nur für Theaterbesucher*innen und ganz unabhängig von der Tageszeit.
Bereitwillig hat Tilmann Pröllochs dann auch Fragen aus dem Publikum beantwortet. Es war ausgesprochen interessiert und dem neuen Intendanten sehr zugewandt – das wurde bei jeder Frage deutlich.
Fazit: Es war ein lebhafter und instruktiver Abend – die Bereitschaft des Interviewten, Auskunft zu geben, war groß und seine Freude, in Mannheim zu sein, war ebenso deutlich wahrnehmbar, wie seine klare Vorstellung davon, was die Funktion des Theaters in Mannheim ist bzw. sein soll, und welche Aufgabe ihm dabei zufällt.
Text: Prof. Dr. Heidrun Deborah Kämper
Bilder: Christian Kleiner; Thomas Henne